Samstag, 4. Oktober 2014

Wenn jeder sein eigener Anlageberater wird

2030 schließen Kunden ihre Versicherungen per Smartphone im 
Skilift oder an der Supermarktkasse ab. Beratung gibt es in den
sozialen Medien. Der Job des Anlageberaters stirbt hingegen aus.
Die Lebensversicherung wird nicht mehr im Wohnzimmer des Nachbarn abgeschlossen, sondern im Supermarkt an der Kasse. Die Krankenversicherung läuft über den Handytarif und die Finanzberatung findet per Computerstimme im Internet statt. Im Jahr 2030 wird in der Finanzwelt vieles möglich und einiges verdrängt und vergessen sein.
Das trifft vor allem die Altersvorsorge. Peter Wippermann, Trendforscher und Professor für Kommunikationsdesign an der Folkwang Universität der Künste in Essen, meint: "Die kollektiven Sicherungssysteme funktionieren nicht mehr. Das sieht man vor allem an der gesetzlichen Rentenversicherung. Gerade Jüngere zahlen mehr ein, als sie je ausgezahlt bekommen werden."
Die Individualisierung werde in den nächsten Jahren auch die Altersvorsorge erreichen. "Wir managen dann nicht nur unseren Konsum oder unsere Zeit selbst, sondern auch unsere Finanzen", sagt Wippermann. Jeder werde sein eigener Finanzberater.

Beratung in den sozialen Medien

Finanzberatung werde 2030 vor allem in den sozialen Medien stattfinden. "Es wird einen Wettbewerb um die beste Einschätzung der Märkte geben und die Anleger werden sich die Schwarmintelligenz zunutze machen", so Wippermann. Das werde über vertrauenswürdige Plattformen geschehen, deren Betreiber daran verdienen. "Ähnlich der Zimmervermittlungsplattform AirBnB, bloß für Finanzen statt Übernachtungen", sagt der Trendforscher voraus.
Mit solchen Zukunftsszenarien kann sich Heinrich Piermeier, Partner bei der Frankfurter Unternehmensberatung Eurogroup Consulting, noch nicht anfreunden: "Ich glaube nicht an die reine Digitalisierung. Mehr als die Hälfte aller Kunden wünschen den persönlichen Kontakt. Auch zukünftig wird es Filialbanken geben."
Walter Kuhlmann, Partner bei der Unternehmensberatung Q-Perior und Verantwortlicher für den Versicherungsmarkt, glaubt an eine weitere Spielart: "Sobald die Technik es schafft, einen Sprachcomputer mit einer naturnahen Sprechstimme zu entwickeln, wird es nicht mehr lange dauern und der Kunde wird von einer Kombination aus Mensch und Maschine beraten."
Dass sich die zukünftigen Produkte grundlegend von der heutigen Welt unterscheiden, darin aber sind sich die Experten einig. "Die Banken werden in den nächsten zehn Jahren flexiblere und emotionalere Produkte anbieten müssen. Es muss möglich sein, bei einer Lebensversicherung, die 20 Jahre läuft, nach zehn Jahren die Fondszusammensetzung zu ändern. Auch muss ein Kredit immer jederzeit kündbar sein", sagt Piermeier von Eurogroup Consulting.

Lebensversicherung im Supermarkt

Es seien auch Produktbündel vorstellbar: Ein Girokonto etwa, von dem automatisch, wenn am Ende des Monats etwas übrig bleibt, diese variable Ersparnis in eine Lebensversicherung eingezahlt werde. "Man legt sich nie vorher fest, wie viel es ist. Bisher wehren sich Banken und Versicherer noch gegen solche Produkte, weil sie dann viel schlechter ihre Kosten und Risiken kalkulieren können, doch sie müssen weg von dieser Ich-Zentriertheit", meint Piermeier.
Thomas Meyer, Leiter der Versicherungspraxis in Europa, Afrika und Lateinamerika bei der Unternehmensberatung Accenture, sagt: "In nicht ferner Zukunft wird man im Supermarkt kurz vor der Kasse statt Kaugummi eine Lebensversicherung kaufen können oder Leistungen einer Krankenversicherung über den Handytarif bekommen. Im Ausland gibt es das schon vereinzelt."
Auch müsse es hierzulande möglich sein, per Handy jederzeit kurzfristig eine Versicherung abzuschließen. Beispielsweise wenn man bereits im Skilift sitzt, noch die Skistiefel gegen Diebstahl zu schützen, da diese vor den Hütten oft geklaut werden. Meyer nennt das "Short Ticket Insurance". Sie werde im zukünftigen Versicherungsgeschäft eine große Rolle spielen.
Kfz-Versicherungen für Privatkunden wird es dagegen kaum noch geben, weil insbesondere in der Stadt wegen Car-Sharing immer weniger Menschen ein Auto besitzen werden, sagt Kuhlmann von Q-Perior.
Auch Lebensversicherungen mit einer Laufzeit von 20 oder 30 Jahren würden im Jahr 2030 kaum noch nachgefragt, denn dann werde niemand mehr so lange festlegen wollen. "Stattdessen wird es bis dahin Versicherungen gegen die Bedrohung des Cyberspace, wie etwa Datenklau, geben. Das Bedürfnis der Kunden danach wird immer größer", sagt Kuhlmann.

Hälfte der Finanzmakler überlebt den Wandel nicht

Doch wer wird diese Produkte anbieten? Werden es weiter Banken und Versicherungen sein? Laut Meyer von Accenture wird es zwei Arten vonFinanzdienstleistern geben: "Fabriken, in denen in hoher Stückzahl, voll automatisiert und mit geringen Margen Bausteine produziert werden. Die anderen Unternehmen setzen die Bausteine zusammen, verkleiden und verkaufen sie."